Kumanen und kumanologie.  UEBER Die kumanische ethnische Komponente auf dem Balkan

Valery Stojanow

Sofia, Oktober 2005

 

Die Kumanen waren ein kriegerisches Reitervolk, das drei Jahrhunderte lang die Steppengebiete um das Schwarze Meer beherrschte, bevor es von dem mongolischen Ansturm weggefegt wurde und sich seine Splittergruppen in den vorhandenen oder sich in Prozeß der Entstehung befindenden osteuropäischen Nationen einreihten. Seine Rolle in der mittelalterlichen Geschichte des östlichen Europas provozierte viele Untersuchungen, die eine umfangreiche Literatur über die Sprache, die Herkunft, die ethnischen Spezifika, die Geschichte, die Lebensweise und die Kultur der Kumanen zustande brachten. Diese Literatur bildet die Grundlagen der Kumanologie als eine komplexe Wissenschaftsdisziplin, die der Kumanenforschung gewidmet ist.

Die kumanische Problematik ist mit den vielseitigen Aspekten interessant – sowohl für sich selbst, also in Anbetracht des anvisierten Volkes (oder besser gesagt des ethnisch bunten Konglomerates, das man mit der Zeit als Kumanen, Polovzen oder Kiptschaken zu bezeichnen anfing), als auch in Verbindung mit der russischen, ungarischen oder bulgarischen Geschichte. Sie ist ferner für die Erforschung der euro-asiatischen Antike von Bedeutung, da manche Elemente der Lebensweise, des religiösen Glaubens und des Bestattungsrituals der Kumanen Ähnlichkeiten mit denen der alten Thrakern oder Skythen aufweisen. Das Tragen von Zöpfen bei Männern wurde z. B. nicht nur unter den Kumanen, den türkisch-mongolischen Völkern und Chinesen, sondern auch unter manchen skythischen Stämmen beobachtet. Das Ausschütteln aus dem Köcher über den Verstorbenen von weißen und schwarzen Steinchen, die als „Zeiger“ für seine gute und schlechte Tage dienten, so wie dies im ältesten russischen Epos, das berühmte Igorlied (das Слово о полку Игореве) dargestellt wurde, hat auch Parallele in einer älteren skythischen Praxis. Das rituelle Trinken von einem „gesichtsähnlichen“ Becher, d. h. von einem Gefäß, das aus einem mit Leder und Silber oder mit Gold beschlagenen Schädel eines berühmten Gegners hergestellt wurde, wurde nicht nur bei den Petschenegen, ProtoBulgaren und den „östlichen Hunnen“ (die Hsiung-nu), sondern auch bei einer Reihe viel älteren Völker bezeugt. Die Kurghan- (d. i. die Großhügel-) Bestattungen stellen einen allgemein eurasischen Brauch dar, dessen Wurzel bis in die ersten Jahrtausende vor Christi zurückverfolgt werden können. Das Bringen von Menschenopfer führt seinerseits zu den Frühkulturen des Neolithikums und der Bronzezeit, worin vielleicht auch die Ikonographie der mit beiden Händen einen Becher vor dem Nabel haltender Ahnenbilder zu datieren ist.

Ähnlich wie die alten Türken (die Türküten, die T’u-kiue) ehrten auch die Kumanen den heiligen „grauen Wolf“ (boz kurt, босый волк), glaubten an seine magische Kraft und an die Fähigkeit des Schamanen, sich in Wolf (als Verwolf, sic!) zu verwandeln. Diese Vorstellungen waren allerdings sehr alt und nicht unbedingt „altaisch“. Sie wurden von den eingeborenen Einwohnern Nord- und Mittelamerikas geteilt und bei den europäischen Völkern bezeugt, einschließlich bei den Thrakern (Thraziern), die den Wolf als einen Vermittler zwischen den Welten der Lebendigen und des Jenseits betrachteten. Offensichtlich nahmen ihn auch die Kumanen in einer solchen Funktion wahr, weshalb Khan Bonjak im Wolfsgeheul ein Omen und eine Antwort seiner Vorfahren auf die Frage nach dem Ausweg der bevorstehenden Schlacht mit den ungarischen Rittern erblickte. Es sind auch weitere Beispiele vorhanden, womit die Kumanen als ein laufendes Glied in der langen Kette von Mediatoren und Rezipienten älterer kulturellen Phänomene erscheinen.

Doch nicht nur im Zusammenhang mit den Skythen und Protobulgaren, sondern auch mit Rücksicht auf die Probleme der neuzeitlichen Geschichte ist das kumanische Thema sehr aktuell. Sie trägt zur Erforschung der Mechanismen beim Formieren und Desintegrieren der Nationen bei, welche Mechanismen sich heute von denjenigen der späten Mittelalter nicht wesentlich unterschieden. Die Erforschung dieser Umwandlungen im Vergleich zur Entstehung der Nationen in Europa und woanders in der Welt könnte beim Konstruieren entsprechender Modelle vom Nutzen sein, welche Modelle die Möglichkeit einer Unterstützung, einer Entwicklung oder auch einer Änderung kollektiver Identität[en] erklären. Auch die Spekulationen mit der Rolle der Kumanen in der Genese einiger Minderheiten (so etwa der Pomaken in Bulgarien, der Tschango in Moldau usw.) oder etwa für das „Kristallisieren“ des rumänischen Staates schreiben sich in der ideologischen Konfrontation und Propaganda von erst in der Neuzeit entstandenen national[istisch]en Konzeptionen. Somit geht die Kumanologie aus den allgemeinen Rahmen heraus, die von dem Forschungsobjekt bestimmt wurden, und wird zu einer Brücke zwischen verschiedenen Epochen, was die diachronische Aufdeckung vergleichbarer Tatsachen, Erscheinungen und Prozesse ermöglicht.

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Die Kumanen selbst erreichten das Gebiet der osteuropäischen Steppe gleich nach dem Untergang des chasarischen Reiches im Laufe einer größeren Völkerwanderung, die ihren Anstoß weit östlich an die Grenzen Chinas erhielt und verschiedene Völker als eine Kettenreaktion umfaßte, bevor sie in Richtung Byzanz abklang. Im Jahr 6503 von der „Weltschöpfung“ (Anno 1055 n. Chr.) erschienen die Kumanen im Blickfeld der Russen – damals „Приходи Б(о)лушь съ Половци и створи Всеволодъ миръ съ ними и возвратишася вспять восвояси отнюду же пришли” („es kam B[o]luš mit Polovcen und erschuf Vsevolod einen Friede mit ihm [/ihnen] und kehrten sie in sich erneut zurück, woher sie kamen“). Die erste Begegnung war friedlich, doch erlitt Vsevolod im Jahr 1061 von dem nächsten Khan Sokal (Sakal, Iskal) schon eine Niederlage. Im Jahr 1067 oder 1068 wurden die vereinigten russischen Fürsten beim Fluß Al(u)t(a) von den Kumanen besiegt, die dann ihre Gebiete plünderten. 1068 traten Kunen (oder Petschenegen) in Siebenbürgen ein, wurden aber vorerst von dem ungarischen König Salomon vertrieben. Offensichtlich bemächtigten die Ankömmlinge zwischen 1068 und 1071 der ganzen Moldau. Im Jahr 1071 drang eine Gruppe davon unter der Führung des Khanen Osul vom NordSiebenbürgen ins Ungarn ein und 1077 (oder 1078) erschienen die Kumanen erstmals auch südlich der Donau.

Im Byzanz kamen sie zuerst als petschenegische Verbündete, dann halfen sie dem Kaiser gegen den Petschenegen und schließlich fingen die Kumanen auch an, Raubzüge auf eigene Kosten zu unternehmen. Auf dem Balkan ließen sie sich hauptsächlich im heutigen rumänischen Tiefland nieder – dort im OstWalachei (in Muntenien) findet man die meisten Toponyme und Hidronyme einer kumanischen Herkunft, dort lokalisieren die Forscher auch eine regionale Sondergruppe der Kumanen, die zwischen den Karpaten, der Unteren Donau und dem unteren Lauf von Pruth beheimatet war. In diesem Rahmen bewegten sich die Nomaden den Jahreszeiten entsprechend – im Sommer in die frischen Gebirgsweiden und im Winter in die milderen Klima weit südlich – also in einem Rhythmus nach den Spezifika ihrer transhumanen Viehzucht, was auch die Zeit der kriegerischen Einfälle über der Donau bedingte. Diese Einfälle intensivierten sich in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, in welcher Zeit auch den Beginn kumanischer Ansiedlung im byzantinischen Bereich anzusetzen ist. Dies bezeugt ein Prostagma (eine Urkundenart) des Kaisers Andronikus I. Komninus aus dem Jahr 1184, worin auch von Kumanen Proniaren (also von einer Art Grundbesitzer) im Gebiet von Moglena, südöstlicher Mazedonien, die Rede ist. Sie wurden neben bulgarischer und wallachischer Landbevölkerung vermerkt, wo vorher petschenegische Splittergruppen angesiedelt wurden. Aber auch in anderen Teilen des Balkans (so in Serbien und Kosova, im Griechenland oder in der Türkei) trifft man Spuren von den Kumanen, und zwar in denselben Regionen, wo sich früher Gruppen weiterer mittelalterlichen Türken vorfanden. Wie es scheint, breiteten sich die Kumanen fast überall auf dem bulgarischen ethnischen Territorium aus, so in Teilen Mazedoniens, im Gebiet von Sofia, Tărnovo und Silistra, um die Städte Vratsa, Vidin und Kotel, in den Siedlungen um Pleven, Loveč, Pernik usw. Größere Gruppen dieses Volkes ließen sich im nordöstlichen Bulgarien nieder – dort, wo früher Teile der Petschenegen und Uzen angesiedelt wurden und wo Jahrhunderte vorher Protobulgaren wohnten. Mit der Zeit integrierten sich die Ankömmlinge in dem neuen ethnokulturellen Milieu, behielten Elemente der eigenen traditionellen Kultur bei (sie finden sich bei manchen ethnographischen Gruppen) und bildeten diejenige Bevölkerung mit einer gemischten ethnischen Herkunft, die in den byzantinischen Quellen als „Mixobarbaren“ bezeichnet wurde.

Dazu gehörten auch die Gründer des Zweiten Bulgarischen Reiches, die Gebrüder Peter und Assen. Der Name des jüngeren Bruders Assen, der nach den alten hunnischen Tradition den Beinamen Belgün (aus türk. bilgün, bilgin   „der Wissende, der Weise“) trug, ähnelte den Namen des polovcischen Fürsten Ossen (Assen), also den des Vaters des in den russischen und byzantinischen Quellen oft erwähnten großen kumanischen Khanen Bonjak. Somit könnte man mit aller Vorsicht die Vermutung äußern, daß die bulgarischen Asseniden Nachfahren des ersten fürstlichen kumanischen „Hauses“ waren. Dies erklärt auch den Beistand, der sie ständig von den Kumanen erhielten, einschließlich bei den Feldzügen des Zaren Kalojan, der am 15. April 1205 bei Adrianopel den lateinischen Rittern vernichtend schlug, wobei ihrer Konstantinopels Kaiser Balduin von Flandern den Rest seines Lebens als Gefangene in Tărnovo verbringen mußte. In der Folgezeit findet man oft bulgarische Würdenträger mit einem türkischen Vornamen, was mit der Ansiedlung kumanischer Elemente auf dem Balkan zu erklären ist. Auch die Dynastie der Terteriden, die seit 1280 mit dem Zaren Georgij I. Terter in Bulgarien regierte, entstammte der führenden kumanischen Sippe Terter-oba, die sich mit dem Khan Kuthen (Kotjan) nach der Niederlage bei Kalka (1223) in Ungarn und dann in Bulgarien niederließ. Kumanischer Herkunft hatte der Despot Balika, dessen Nachfolger ihren Grundbesitz in der Dobrudscha fast unabhängig regierten. Wenn man nach dem Name schließen darf, sollten auch die Šišmaniden, die letzte Dynastie im mittelalterlichen Bulgarien vor dem Einbruch der Osmanen, einer gemischten (bulgarisch-kumanischen) Herkunft gewesen sein. In den frühen osmanischen Land- und Bevölkerungsregistern aus dem 15. Jahrhundert finden sich vielerorts christliche Bulgaren mit türkischen Namen eingetragen, was auf die vorosmanischen türkischen Elemente (vor allem auf Kumanen) hindeuten könnte. Solche onomastische Spuren gibt es auch in den benachbarten Ländern. Splittergruppen dieser Reiterkrieger lebten ferner in den anderen Teilen des Balkans, die heute zur Türkei, zum Griechenland, zu Mazedonien, Serbien oder Kosovo gehören. Ähnlich wie in Ungarn (wo diese Transformationen besser verfolgt worden sind) ließen sich die Kumanen auch auf dem Balkan in die örtliche Bevölkerung assimilieren und beteiligten sich in die integrierende und differenzierende Prozesse, die die Nationsbildung in der Region charakterisierten. Dabei sollte auch hier das Sesshaftwerden der Nomaden eine ungewisse Zeit in Anspruch nehmen (in Ungarn dauerte dieser Vorgang etwa zwei Jahrhunderte) und je nachdem, ob sich die Ankömmlinge auf dem Land und in den Städten als Söldner, Handwerker und Beamten niederließen, oder aber – zumindest am Anfang – ihre herkömmliche Viehzucht weiter treiben konnten, entwickelten sie mit der Zeit unterschiedliche kulturelle, später auch ethnische (bzw. nationale) kollektive Identitäten.

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Was ist aber aus dieser – wie wir es sehen – zahlenmäßig nicht so kleinen ethnischen Komponente geblieben? Um die Frage beantworten zu können, muß man vorher die Spezifika des kumanischen Volkes und seiner Nachfahren besser erforschen, besonders in Hinsicht auf ihre Lebensweise, wirtschaftliche und soziale Organisation, materielle und geistliche Kultur. Gewiß erfahren wir aus den zeitgenössischen Informationen einiges über den damaligen „Clash of Civilizations“, doch wurde dies – wie erwartet – durch die Brille der Vertreter einer sedentaren Welt angesehen. Daher finden sich nur dürftige Einzelheiten über das Wesen der Nomaden selbst, d. h. wie sie es wirklich waren und „unter sich“ lebten, was bewegte sie im Alltag und wie nahmen sie das Milieu ihres „eigenen“ und des „fremden“ Universums wahr. Aber das ist vielleicht auch das Schicksal jedes schriftlosen Volkes, worüber man eine Auskunft lediglich aus seinen „zivilisierten“ Nachbarn erhält, die sich von ihm bedroht fühlten und es deshalb mit Vorurteilen begegneten.

Sowohl im politischen, als auch im ökonomischen und geistlichen Bereich änderte sich die Gesellschaft der Kumanen allmählich. Diese Änderungen sind ein Zeugnis dafür, daß trotz ihrer scheinbaren „Erstarrung“ die nomadische Zivilisation nicht so „unbeweglich“ war, wie man annimmt. Selbstverständlich bewahrten die Gruppen, die das Innere der Steppe bewohnten, für eine längere Zeit ihre alte Lebensweise, während die aus der Peripherie des Nomadenlandes viel spürbar die Impulse der sedentaren Welt fühlten. Sie wurden schneller von technischen und kulturellen Innovationen erreicht, die – einmal angenommen und für das nomadische Milieu angepaßt – viel weiter übertragen wurden. Und umgekehrt – eben die Reitervölker waren mit ihrer Fertigkeit, die Traditionen zu pflegen, die besten Träger und „Überbringer“ der von den alten Kontakten ihrer Vorläufer geerbten Elemente (Sprachtermini, Organisationsformen usw.). Damit erschienen sie als eine Art Vermittler zwischen den zeitlich und örtlich weit entfernten Kulturen. Hierher gehörten auch die Kumanen, in deren politischen und sozialen Struktur, Kriegskunst, Wirtschaft und Kultur nicht selten Modelle wiedergeben wurden, die wohl in anderen Orten und Zeiten entstanden worden sind.

Die Einordnung der Sippen in „Flügeln“ stellt z. B. einen Ausdruck des militärischen Strukturieren der Gesellschaft dar, was eine sehr alte, den frühen Reitervölkern entlehnte, Praxis widerspiegelte. So bildeten die Kumanen beim Feldzug zwei große Flügel, wobei der linke von dem ranghöheren Fürst/Khan geführt wurde. Nach dem selben Prinzip teilten sie aber auch das von ihnen beherrschtes Land auf, deren Bevölkerung mit einem solch bunten ethnischen Bestand war, daß man mit Recht von einer Poliethnizität und Mehrsprachigkeit im Gebiet Kumanien reden darf. Darin spielte das Kumanische die Rolle eines Vermittlers, was seinen Einfluß etwa auf das Karaimische und das Armenisch-Kiptschakische erklärt. Aber auch die Sprache selbst (oder besser gesagt ihre Mundarten) wurde der Wirkung den unterschiedlichen Idiomen der Bulgaren, Chazaren, Russen, Magyaren, Petschenegen, Uzen, Griechen, Jassen usw. ausgesetzt und das wirft ferner die Frage auf die noch unerforschten Substrat- und Superstratelemente im Kumanischen auf. Ähnlich ist es sehr schwierig, das kumanische Lehngut in den Dialekten Südosteuropas präziser zu identifizieren und es von den Relikten der übrigen vorosmanischen Türksprachen der Region oder der osmanisch-türkischen Mundarten auf dem Balkan abzugrenzen. Daher die Fälle ihrer irrtümlichen Betrachtung pauschal als „türkische“ (also „türkei-türkische“ oder „osmanisch-türkische“, d. i. engl. turkish und nicht turkic) Elemente in den jeweiligen Sprachen. Wenn wir jedoch etwa das bulgarische Wort šiš-ko (Dicker) in Verbindung mit dem alten dynastischen Namen Šiš-man (Dickmann) aus dem türkischen Verb šiš-mek (dick werden, dick sein) erklären, brauchen wir nicht an die Sprache der erst später auf dem Balkan aufgetauchten Osmanen denken. Solche Beispiele gibt es ja genug und zwar nicht nur aus dem Bereich des Bulgarischen.

Aber auch außerhalb der linguistischen Sphäre blieben Spuren von den Kumanen. Als Reitervolk züchteten sie zahlreiche Tierarten – sowohl Pferde, Schaffen und Ziegen, als auch Großvieh. Darunter befand sich vielleicht das spezifische graue, d. h. „blaue“ Rind, das in Bulgarien (im IskărTal), in Ungarn, sowie in NordKaukasus etwa unter den Kumüken (als kuba ögüz „blauer Stier“) einheimisch wurde. Groß war die Vielfalt der Hunde (Peter Golden, einer der besten zeitgenössischen Kenner dieses Volkes, zählt etwa 18 Benennungen für „Hund“) und höchstwahrscheinlich brachten eben Kumanen den langhaarigen Schäferhund Komondor mit sich nach Europa. Einiger Quellen zufolge gab es in Ungarn während des 13. Jahrhunderts auch eine kumanische Pferderasse, die sich von den übrigen stark unterschied. In dieser Hinsicht könnte man sogar vermuten, daß manche für die ungarische und bulgarische „Küche“ so typische Arten von Fleischprodukte (etwa die getrockneten und geräucherten Arten von Salami mit türkischen Namen wie pastırma, sızdırma, babek, sudžuk usw.) in Europa zusammen mit den Reitervölkern eingeführt wurden. Auf jeden Fall hat das ungarische und bulgarische Wort kolbas (Wurst) wahrscheinlich schon eine kumanische Herkunft und es ist nicht auszuschließen, daß auch die Tataren manche kulinarische Spezialitäten von den Kumanen übernommen hatten. Doch obwohl die Viehzucht eine dominante Stelle in der nomadischen Wirtschaft einnahm, kannten die Kumanen auch Getreidekulturen, Obst und Gemüsen, einschließlich die Zucker- und Wassermelonen, deren Bezeichnung sich im Ukrainischen (kavun) von der in der russischen Sprache (arbuz) unterschied, allerdings mit dem Wort caun für Wassermelone im „Codex Cumanicus“ übereinstimmt.

Dies ist ein Zeichen dafür, daß der Prozeß der Niederlassung schon in den alten Gebieten nördlich des Schwarzen Meeres anfing und von der Umwandlung der zeitweiligen Winterlager in dauerhaften Ansiedlungen oder vom Anpassen an die eigenen Bedürfnisse von schon verfallenen Ortschaften begleitet wurde. Nach dem mongolischen Ansturm beschleunigte sich das Sesshaftwerden unter den kumanischen Migranten in Ungarn und auf dem Balkan so, daß sie im 14. Jahrhundert schon fast vollständig sedentarisiert wurden. Dies traf besonders diejenigen Nomaden zu, die sich schneller ans neue seßhaftes Milieu anpaßten und sich als Söldner, Handwerker oder gar Landwirte in die örtliche Stadt- und Landbevölkerung integrierten, wobei spezifische ethnographische Lokalgruppen herausgebildet wurden, während andere Kumanen, die für eine längere Zeit ihre Lebensweise als Viehzüchter aufbewahrten, sich eher den Hirtengemeinschaften der Walachen, Albaner, Karakatschanen u. a. assimilieren ließen.

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Die ethnische Assimilation der einstigen „Herren der Steppe“ wundert uns nicht. Sie ist kaum mit einer Nachgiebigkeit der Nomadenkultur gegenüber den Außeneinflüssen verbunden, noch war sie übertrieben schnell – eigentlich sollte eben dies das Geheimnis ihres Erfolges sein, da die in allen Himmelsrichtungen zerstreuten kumanischen Nachkommen sich in Magyaren, Rumänen (also Wallachen und Moldauer), in Bulgaren, Mazedonier und Serben, in Albanen und Griechen, in Gagauzen, Ukrainer und Russen, in Georgier und Daghestaner, in Kumüken und Karatschaier, in Tataren, Kasachen und sogar in Araber (die Mamluken in Ägypten stammten eben aus dem „Kiptschak“) verwandelten. Ihr Schicksal zeigt uns, wie bei ungleichen Lebensbedingungen, die von unterschiedlicher geographischen, wirtschaftlichen und kulturellen Umgebung, Sprachmilieu und konfessioneller Zugehörigkeit verursacht wurden, eine ethnische Gemeinschaft, obwohl nicht homogen doch immerhin einst existierende, sich in vielen miteinander nicht mehr verbundenen Elemente zerstreut.

Und das ist die Lehre, die sich aus dem Nebel der Jahrhunderte ergibt, nämlich, daß es sich mit der Zeit alles ändert, auch die Religionen, die Kultur und den ethnischen Bestand eines Volkes, geschweige denn von einer modernen Nation. Es ist ein großer Irrtum zu glauben, daß die heutigen Nationen auf dem Balkan irgendwie direkte Nachfahren der antiken Völker in der Region (also der alten Bulgaren, Griechen, Thraken, Dazier, Illyren, Mazedonier oder gar auch Hetthiter) seien. Eine solche Vorstellung mag während der Nationsbildung und im 19. Jahrhundert plausibel erschienen, ist aber zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht nur wissenschaftlich unkorrekt, sondern auch politisch gefährlich. So werden neue künstliche Identitäten konstruiert (etwa unter den Pomaken, den Albaner oder den Kosovo-Ägypten), die die schon vorhandenen Gemeinschaften schwächen, zerstückeln und auflösen könnten. In diesem Sinne lernt uns die Kumanenforschung, auch vorsichtiger mit der eigenen Gegenwart umzugehen.